Nun endlich gehts nach Wales. Plötzlich wird es warm. Die Nächte werden plötzlich sehr angenehm mild (der Schlafsack fungiert nur noch als Decke) und tagsüber schwitzen wir bei 24°C oder mehr vor uns hin. Wer hatte die geniale Idee, die warmen, wasserdichten Töffsachen mitzunehmen? Von Regen nach wie vor keine Spur; im Gegenteil, die Wiesen sind immer häufiger bräunlich und der Boden total ausgetrocknet.
Eine alte Kirche erregt unsere Aufmerksamkeit. Was bei uns fast nicht vorstellbar ist, ist hier fast schon normal. Es gibt viele verlassene Kirchen und Kapellen, wovon einige dann an Private verkauft und z.B. zum Wohnhaus umgebaut werden; andere gammeln vor sich hin bis sie zerfallen. Genau eine solche finden wir und mit etwas Kreativität stehen wir bald im alten Kirchenschiff. Zwar ist dieses komplett ausgeräumt, aber die Stimmung ist trotzdem sehr eindrucksvoll.
Wales ist aber auch noch für etwas anderes bekannt: Bergwerke. Matti ist im Element und Barbara wird vom Enthusiasmus auch mitgerissen und schon finden wir uns auf der Suche nach alten Löchern. Ausgestattet mit Zehenschuhen sind auch nasse Passagen kein Problem, wo man mit Stiefel schon Mühe hätte. So erkunden wir so einige alte Minen und bestaunen die rostigen und modrigen Hinterlassenschaften darin. Schliesslich finden wir endlich, und zum ersten Mal im Vereinigten Königreich, auch einen Platz für unser Zelt direkt auf einem ebenen Fundament der Verarbeitungsanlage.
Allgemein ist sonst jeder einzelne Strässchen in England mit einem Tor und Vorhängeschloss verschlossen, man kriegt das Gefühl, dass das komplette England ausser den Hauptstrassen eigentlich Privatgelände sei. Unter uns entwickelt sich der Spruch „Attention, CCTV in operation“ („Achtung Kameras“) fast schon zum Gassenhauer, so oft lesen wir ihn. Kaum ein Tor ohne solches Schild und auch bei jedem zweiten Kreisel oder Kreuzung steht eine Kamera. Der Vorteil ist wohl, das wenn wir vergessen, wo wir durchgefahren sind, wir das wohl einfach beim Staat erfragen können; der hat nun wohl jedes Abbiegen von uns gesehen…?! Auch im Zäune bauen sind sie wohl Weltmeister. Wir sind erstaunt, was alles eingezäunt sein ‚muss‘ und auch Stacheldraht kommt nicht zu kurz. Vor allem Ruinen werden grosszügig abgesperrt – wehe jemand könnte sich den Kopf an einem zerfallenden Mäuerchen anstossen…
Ein absolutes Highlight stellen auch zwei folgende Bergwerke: Im Ersteren drinnen steht noch ein weitgehend erhaltenes, hölzernes Wasserrad drin. Dieses wurde vom ablaufenden Wasser der höheren Niveaus angetrieben und betrieb selbst wiederum eine Pumpe um den etwa 60m tiefen Schacht weiter hinunter leer zu pumpen. Selten nur sind solche Holzkonstrukte noch in einem so guten Zustand. Auch in einer Schiefergrube etwas weiter gibt es etwas spannendes zu bestaunen: Hier wurden Experimente mit einer frühen Version einer Art dampfbetriebenen Tunnelbohrmaschine (oder eher eine Art grosser Kernbohrer) gemacht, welche zwei sich überschneidende, je etwa 2m grosse Löcher in den Berg gefressen hat. Diese schon um 1860 erfundene Maschine war zwar noch nicht besonders erfolgreich, doch schon bald darauf entstanden anderswo erste ‚echte‘ Tunnelbohrmaschinen; so wurde z.B. um 1881 auch ein erster Versuch unternommen, ein Tunnel unter dem Ärmelkanal zu bohren, wovon auch gut 3km tatsächlich gebohrt wurden bevor das Projekte wegen (militärischen) Sicherheitsbedenken der Engländer aufgegeben wurde.
Auf der Suche nach einer Unterkunft für einige Tage, möglichst zentral in Nordwales, werden wir fündig in einer ehemaligen, grossen Kapelle (natürlich ursprünglich erbaut für die Bergleute der nahen Mine). Nur gerade die Frontseite entspricht noch der ursprünglichen Kapelle, der Rest ist zu einem mehrstöckigen Haus umgebaut, wo wir ein Privatzimmer beziehen. In Nordwales gibt es einige gigantisch grossen Schieferabbaugebiete, so bei Blaenau Ffestiniog und Llanberis. Zu letzterem zieht es uns nun hin und wir tauschen die Töffstiefel gegen unsere bewährten Zehenschuhe und wandern stundenlang durch die komplett umgekrempelte Landschaft. Hoch türmen sich die Plateaus, verbunden durch endlose Treppen und Schrägaufzüge. Etliche Gebäude stehen noch und (natürlich) in der hintersten Ecke steht das Interessanteste: In einer ehemaligen Halle stehen über 20 Kreissägetische in Reih und Glied und rosten vor sich hin. Hier wurden die Schieferblöcke zugeschnitten, die danach gespalten wurden um die fertigen Schieferplatten zu erhalten.
Schon in der Bronzezeit war Wales ebenfalls durchlöchert worden. Ein solches Bergwerk kann heute bei Llandudno besichtigt werden. Hier wurde vor langer Zeit Kupfer abgebaut mit einfachsten Mitteln; etliche wieder ausgegrabene Stollen sind heute als Museum frei begehbar. Und auch noch viel ältere Bauwerke gibt es: Ein schöner Grabhügel aus der Jungsteinzeit (‚Bryn Celli Ddu‘) zeigt sehr eindrücklich, wie es hier mal ausgesehen haben muss: Grosse Steinplatten wurden aufgestellt und mit mehreren grossen Platten zugedeckt. Danach wurde Erde aufgeschüttet bis ein Hügel entstand, worin dann die Grabkammer war. An vielen Orten sieht man nur noch ein paar der Steine (die Erosion hat an vielen Orten das meiste Hügelmaterial längst abgetragen), doch hier ist noch gut zu sehen, wie es wohl mal ungefähr ausgesehen hatte.
Die Zeit vergeht wie im Flug und bald schon treffen wir unsere Freunde von unserem Töffclub Triumph Tiger Club Schweiz um das Werksgelände von Triumph zu besichtigen. Zuerst aber geht es zu Jules Verne. In einer abgelegenen Ecke am Rande von Wales gibt es eine Serie von Schiefergruben. Ein paar Tagebauten sind unterirdisch erweitert und miteinander verbunden. Der ehemalige Drucklufttank im Eingangsbereich erinnert stark an das Gefährt, das wohl für die Reise zum Mittelpunkt der Erde benutzt worden wäre.
Auffallend häufig stehen insbesondere auf Friedhöfen teils mehrere tausend Jahre alte Eiben. Diese riesigen Bäume mit enorm grossem Stammumfang sind inzwischen zum Teil hohl und haben sich zu verschlungenen Gebilden entwickelt. Von einzelnen Bäumen bis hin zu ringförmig angeordneten Baumgruppen gibt es alles. Schon in vorchristlicher Zeit galten die Eiben als heilig, als Baum der Ewigkeit. Später wurden dann oft Kirchen auf diesen Kultplätzen gebaut und die Eiben wohl damit vor der Abholzung geschützt. Nach der Kapelle kommt die Kirche. Wir nutzen die Gelegenheit und machen ‚Champing‘. Da viele Kirchengemeinden in Geldnot sind, sind sie kreativ geworden und bieten ihre Kirchen an für Übernachtungen. Häufig sind diese Kirchen nicht mehr geweiht, aber in Claverley hat man sich entschlossen, sich den Interessierten zu öffnen und eine Schlafgelegenheit für die Nacht anzubieten. Nach einer kurzen Einführung in die Geschichte der Kirche, die sogar ein Taufbecken aus dem 6. Jahrhundert und Wandmalereien aus dem 12. Jahrhundert aufweist, haben wir die gesamte Kirche für eine Nacht für uns. Luxus sucht man vergeblich: Ausser einer Toilette und einer Küchenecke (ohne Kochmöglichkeit) und zwei Feldbetten gibt es nichts, dafür aber dürfen wir frei die Kirche erkunden, auf dem Klavier und der Orgel nach Herzenslust spielen (was Matti auch gerne nutzt) um schliesslich in wohl einer der speziellsten Umgebungen einzuschlafen.
Nun gehts unter die Leute. Insgesamt 19 Personen finden sich schliesslich beim Hotel in Hinckley ein um am nächsten Tag gemeinsam die gigantische Distanz von 2km zum Werk von Triumph zurückzulegen (wohl die kürzeste Clubausfahrt je). Dort werden wir schon erwartet und werden schliesslich kompetent durch die Fabrik geführt. Wir sehen riesige Hochregallager von fertigen Töffs oder Einzelteilen, dürfen zusehen wie Teile gespritzt werden, Töffs zusammengebaut und am Ende getestet werden. Über die Hälfte der Angstellten hier ist zuständig für Entwicklung von neuen Modellen, Modellpflege und Forschung, während die andere Hälfte aktuell nur die Modellreihe der Tigers hier fertigt. Das Ziel ist aber, bis Ende Jahr alle Triumphs für den europäischen Markt hier in Hinckley zusammenzubauen (aktuell werden viele noch in Indien oder Thailand produziert). Wir staunen auch, wie nahe wir bei der Führung an die Produktionsstätten kommen, wir können den Mechanikern problemlos die nächste Schraube reichen… Auch sonst hier vieles noch Handarbeit, es gibt nur wenige vollautomatisierte Prozesse. Auch ist es der einzige Töffhersteller, der immer noch in Familienhänden ist.
Von hier geht nun bereits jeder vom Club wieder seinen eigenen Weg. Die einen verweilen noch einige Zeit in Grossbritannien oder Schottland, andere fahren auf dem direktesten Weg wieder nach Hause und wir sind irgendwo dazwischen. Noch eine Woche bleibt uns, um den weiten Weg zurück in die Schweiz zurückzulegen. Zum ersten Mal ist nun ein Museum angesagt: Im Bletchley Park nordwestlich von London wurde damals im zweiten Weltkrieg die ‚Verschlüsselungsmaschine‘ Enigma des Deutschen Militärs geknackt. Dies war eine riesige Arbeit und zeitweise arbeiteten etwa 10’000 Personen dort um die regelmässig ändernden Schlüssel wieder und wieder zu knacken.
Noch eine letzte Nacht verbringen wir auf einem wunderschönen Campingplatz, wo jeder Platz eine kleine Lichtung zwischen Bäumen ist. Im Gespräch mit der Besitzerin werden wir in unserer Auffassung bestätigt: In Grossbritannien gibt es so gut wie keine Katzen, dafür hat es gefühlt mehr Hunde als Menschen. Campingplätze werben mit ‚hundefreundlich‘ und Rezensionen von Restaurants und Hotels sind voll von Kommentaren, wie willkommen (oder nicht) dort Hunde sind. Oder wie es die Campingplatzbesitzerin sagte: „Yes, we’re a dog nation. But I love cats.“ – wir fühlen uns ihr gleich sehr verbunden, wartet doch unser Fellknäuel zu Hause sehnsüchtig auf uns.
In nun etwas schnelleren Etappen huschen wir über den Ärmelkanal und schon bald sind wir in Belgien. Wir geniessen die Kurven und über Luxemburg und den pfälzischen Wald gehts wieder ins Elsass. Unterwegs nehmen wir noch ein paar ‚lost places‘ mit (verlassene Orte). Spannend, welche Gebäude hier einfach rumstehen. Sei es ein ehemaliges Hotel, eine Militärkaserne oder auch ein altes Bauernhaus. Jeder Ort hat seinen eigenen, speziellen Charme. So landen wir nach 3 1/2 Wochen und ziemlich genau 5000km Fahrt wieder in der heissen Schweiz wo unsere luftigen Sommerjacken auf uns gewartet hätten – sie hätten das Reisen deutlich angenehmer gemacht, denn Regen haben wir tagsüber in all dieser Zeit kein einziges Mal gesehen und auch kalt war es nur für einige wenige Tage zu Beginn der Reise.